Festung EuropaDie Profiteure der technischen Migrationsabwehr

Die Grenzpolitik der EU steht wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Für einige Firmen aber ist sie ein einträgliches Geschäft. Eine interaktive Berlin-Karte macht nun Helfer:innen und Profiteur:innen der Migrationsabwehr sichtbar, darunter sind Rüstungsunternehmen, Forschungsinstitute und politische Institutionen.

Drei Menschen in einem kleinen Raum mit mehr als zehn Bildschirmen, die Überwachungsaufnahmen zeigen.
Um Außengrenzen zu überwachen und Migrant:innen abzuwehren, setzt die EU auf moderne Technologie (Symbolbild aus einem Überwachungszentrum in Nea Vyssa an der griechisch-türkischen Grenze) – Alle Rechte vorbehalten Imago / NurPhoto

Berlin Mitte ist ein Ballungszentrum der Macht. Deshalb unterhalten hier neben Ministerien und politischen Institutionen auch zahlreiche Unternehmen ein Büro. Das gilt auch für solche Organisationen, deren Geschäft darin besteht, die europäische Migrationspolitik mitzugestalten. Oder genauer gesagt: die massive Aufrüstung der europäischen Außengrenzen, die die EU seit bald einem Jahrzehnt betreibt. Eine interaktive Karte macht nun sichtbar, wo diese Unternehmen in Berlin zu finden sind und informiert über ihre Rolle bei der Migrationsabwehr.

Die Helfer:innen und Profiteur:innen der europäischen Migrationsabwehr sind nur den wenigsten bekannt. Doch hinter den anonymen Hauptstadtfassaden aus Klinker, Beton und Glas verbergen sich nicht selten Firmen, die die Aufrüstung der Festung Europa möglich machen. Etwa 30 Organisationen verortet die Karte – vom Airbus-Konzern über die Beratungsfirmen Accenture und McKinsey bis zur Internationalen Organisation für Migration. Sie stellen Drohnen und Überwachungssensoren her, errichten Zäune, bauen Datenbanken auf, entwickeln Konzepte für die technische Kontrolle von Menschen, tragen die politische Verantwortung oder forschen an automatisierten Systemen für die Grenzüberwachung.

Erstellt hat die OpenStreetMap-Karte das internationale zivilgesellschaftliche Netzwerk Abolish Frontex. Es setzt sich für eine humanere Migrationspolitik und die Abschaffung der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex ein. Frontex sei verantwortlich für systematische Menschenrechtsverletzungen durch seine Operationen, die Beteiligung an Abschiebungen und die Stärkung der EU-Grenzen, kritisiert das Netzwerk. Die Karte solle jene sichtbar machen, die diese Politik möglich machen und daraus ihren Profit schlagen.

Klingendraht und Überwachungsdrohnen

Zu den Profiteuren zählt zum Beispiel das Unternehmen European Security Fencing mit Sitz an der Friedrichstraße. Es ist auf die Herstellung von Sicherheitszäunen und -systemen spezialisiert. Der Karte zufolge ist eines der Hauptprodukte des Unternehmens der sogenannte Concertina-Draht: „ein Klingen- oder Stacheldraht mit unterschiedlichen Längen und Schärfen sowie auf Wunsch mit Widerhaken, der in Grenz- und Sicherheitszäunen verwendet wird“. European Security Fencing habe den Draht unter anderem an Spanien verkauft, das ihn an den Grenzzäunen der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla eingesetzt hat.

Auch die Hersteller von Drohnen dürfen auf der Karte nicht fehlen, schließlich haben sich die unbemannten Flugvehikel in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Baustein der Grenzüberwachung entwickelt. In Alt-Moabit sitzt die Firma Germandrones. Sie hat unter anderen Überwachungsdrohnen des Typs „Songbird 150 Surveillance Edition“ für die Grenzpolizei der Republik Moldau produziert und stellt dem südosteuropäischen Land auch Piloten und Trainer zur Verfügung. Eingefädelt hatte den Deal das Außenministerium; die Bundesregierung hat sämtliche Kosten übernommen.

Die Rüstungssparte des Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus agiert unterdessen als Hauptauftragnehmer für die Bereitstellung von Überwachungsdrohnen für Frontex. Die Drohnen selbst stammen vom israelischen Militärausrüster IAI, Airbus ist jedoch für die Flüge und die Wartung verantwortlich. Airbus bietet Frontex auch Satellitenbilder zur Unterstützung der Grenzüberwachung an, unter anderem im Mittelmeer. Zusätzlich habe Airbus eine satellitengestützte Kommunikationsinfrastruktur entwickelt, die die Datenübertragung verschiedener Grenzüberwachungssysteme sicherstellen soll.

Überwachungssysteme und Datenbanken

Die Airbus-Ausgründung Hensoldt an der Voßstraße gilt als führender Anbieter für Sensorlösungen. „Das Unternehmen spezialisiert sich auf die Entwicklung und Bereitstellung optischer und infrarotbasierter Überwachungssysteme, die in der Sicherheits- und Verteidigungsbranche eingesetzt werden“, erläutert die Karte. Hensoldt-Technik ist demzufolge unter anderem in Tunesien im Einsatz, das deutsche Verteidigungsministerium hat dafür bezahlt.

Das europäische IT-Dienstleistungsunternehmen Sopra Steria mit Sitz an der Friedrichstraße spielt laut Abolish Frontex wiederum „eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Verwaltung von EU-Datenbanken zur Migrationskontrolle“. Auch Forschungsinstitute wie Fraunhofer oder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sind auf der Karte gelistet. Sie sind unter anderem an verschiedenen EU-Forschungsprojekten zur Entwicklung und Verbesserung autonomer Überwachungssysteme für die Grenzüberwachung beteiligt.

Radtour am 3. November

Wer sich über diese Organisationen und Unternehmen nicht nur im Internet, sondern auch direkt vor Ort informieren möchte, hat dazu am kommenden Sonntag eine besondere Gelegenheit. Am 3. November veranstaltet Abolish Frontex eine kommentierte Radtour zu ausgewählten Orten ihrer Karte. Los geht es um 14 Uhr am Bundesinnenministerium. Stationen entlang der Route sind unter anderem die Unternehmen Airbus, Rheinmetall, Accenture, IBM und Hensoldt.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

1 Ergänzungen

  1. Als Bürger zahle ich Steuern unter anderem dafür, dass der Staat meine Lebensgrundlagen sichert. Von daher sehe ich diese Ausgaben positiv, da es zwar Kritik aber keine Alternativvorschläge gibt.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.